Was bist du, Angst?



 - Du bist mal ein Freund, mal ein Feind.
Und weil unser Respekt von deinem Schutz viel zu groß ist, können wir manchmal nicht wirklich unterscheiden, was deine Absicht ist,
uns zu beschützen oder uns zu ruinieren.

Du bist unser Freund, wenn du uns vor Gefahren warnst, die für unser Leben tödlich sein könnten. Du bist unser Feind, wenn wir uns weiterentwickeln müssen. Immer, wenn wir uns nach Neuem sehnen, Veränderungen wünschen. Du lässt uns nicht rein!

-Ich? Na ja, es wird immer bunter. Ist doch so einfach, dem anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Überleg mal besser, was hast du dagegen unternommen und warum kenne ich denn alle deine Schwächen so gut?

- Weil du ein mieser Typ bist und dich von nichts zurückschreckst ?!

- Ich bin lediglich das Ergebnis deiner Fantasie und das Monster, das mich erschaffen hat, bist du.

- Ich? Frechheit!

- Du! Du kennst deine schwachen Stellen viel zu gut, deine Unsicherheiten, deine Grenzen, die du nicht überschreiten kannst.

- Ja, ja, ärgere mich nur ruhig weiter, war von dir auch nicht anders zu erwarten, so wie du mich hasst.
Ich würde mir doch nicht so was antun!
Ich bin hier das Opfer!
Was willst du von mir? Warum kommst du ständig zu mir? Willst du, das ich mich an deine unangenehme Erscheinung gewöhne, willst du, dass ich es endlich satt habe, weil du mir fast alle Hähne zugedreht hast, weil ich keine Luft mehr kriege, weil ich nicht weiter gehen kann, weil ich nicht frei sein kann, weil ich mich nicht bewegen kann, so wie ich es will, weil ich meine Flügel nicht ausweiten kann und mein Fliegen so vermisse.
Willst du mir auf diese Weise zeigen, wie unsinnig und unwichtig du bist und wie wichtig ist es, dir gegenüber Abstand zu halten. Willst du, dass ich mich wehre, dir das Hausverbot erteile, willst du?

- Wieso interessiert dich schon wieder, was ich will? Soll es für dich nicht mehr die Frage von Bedeutung sein: was willst du?
Und weil du es nicht selbst tust, helfe ich dir.


- Du und helfen? Da habe ich mich wohl verhört?!

- Ich zeige dir deine Grenzen, die du zu überschreiten hast.
Hast du genug Mut, mir in die Augen zu schauen, gehst du weiter und meine Anwesenheit macht dir nichts aus,
traust du dir nicht zu, zu mir aufzublicken, bist du noch nicht bereit, weiter zu gehen.
Mit jedem neuen Mal ist es dir immer unangenehmer und peinlicher. Kein Wunder, dass du so abscheuliche Bilder produzierst und dich selbst quellst.
Du hetzt dich selbst gegen mich auf, indem du diese Phantasiebilder ausdenkst.
Ich komme aber mit einer anderen Absicht, ich will dich nur auf etwas hinweisen.

- Worauf denn?

- Auf die Differenz zwischen deinem Wollen und deinem Können. Ich bin immer da, wenn etwas für dich sehr bedeutungsvoll ist. Du wünschst dir seligst was und spürst mich, deine Angst.
Ich bin aber nur da, damit du einschätzen kannst, ob du das kannst, was du willst, ob du das schaffen kannst.
Versteckst du dich wie ein kleines Kind unter die Decke, fliehst du von mir, dann kannst du sicher sein, dass ich immer wieder komme. Warum, willst du wissen?

Weil ich einiges weiß, was du einfach nicht sehen möchtest und deine Augen versperrst.
Weil ich weiß (und das bedeutet, dass du es unbewußt auch weißt), dass es für dich wichtig ist, dass der Wunsch in Erfüllung geht.

Du benimmst dich aber wirklich wie ein kleines Kind, möchtest alles und auf der Stelle, ohne jegliche Mühe und Anstrengung. Und weil ich von dir verlange, dass du dir Mühe gibst, bist du böse auf mich. Du verlagerst all deine Unreife und deinen Haß in Bezug auf deine eigene Hilflosigkeit und Unverantwortlichkeit auf mich.

Du meinst sofort, dass ich dich hasse, malst dir Bilder aus, die dir helfen zu fliehen.
Wirklich sehr kindisch!


- Als ob da noch ein anderer Weg wäre?


- Du willst den Weg einfach nicht sehen. Weil du dafür über deinen Schatten springen muss. Aber es gibt den Ausweg.
Du musst dich vor allem nicht dagegen sträuben!


- Na, erzähl mir endlich, was du meinst, spann mich nicht auf die Folter. Ich kann deine Kritik nicht mehr ertragen. Entweder du sagst es mir oder …


- Oder du gehst? Ist es nicht doch die höchste Zeit für dich deine Fluchtkapsel zu verlassen?
Eigentlich bin ich dein Freund, der gerne möchte, dass du dich als Persönlichkeit weiterentwickelst, dass du dir deine Wünsche erfüllst, dass du dich verwirklichen kannst.
In der Situationen, di so wichtig für dich sind, weil gerade dieses Moment die Zone der nächsten Entwicklung für dich ist, tauche ich auf, damit du einschätzen kannst, wie weit du von deinem Wunsch entfernt bist.
Zu dem entscheidenden Zeitpunkt der Erkenntnis darfst du deinen Kopf auf keinen Fall in den Sand verstecken.
Ganz im Gegenteil musst du den Hinweis als die Richtung auffassen, in die du gehen musst. Davor musst du einschätzen, was dir an Fähigkeiten, Kenntnissen und Können fehlt. Ab diesem Zeitpunkt sich konsequent das Nötige aneignen

Es kann ein langer Weg sein, aber wenn du ihn in kleine Strecken teilst, schaffst du ihn Schritt für Schritt.
Stimmt, du selbst musst die Schritte für dich festlegen, du musst auch selbst entscheiden, welche Fähigkeiten und welches Können du brauchst, dem entsprechend wirst du selbst aktiv sein. Sich etwas anzueignen funktioniert nur in aktiver Bewegung und Tätigkeit.
Es fällt dir nichts in den Schoß. Anstrengen musst du dich, aber
es wird belohnt, du wirst wachsen, du spürst, dass du einen Kopf höher geworden bist, dass deine innere „Muskeln“ gestärkt sind, dass deine Kraft, Sicherheit und Lebensfreude zugenommen haben.

Eines Tages komme ich zu dir, um das letzte Mal dich zu fragen, ob du bereit bist den Weg zu gehen, den du ausgewählt hast.

Du antwortest mir mit einem sicheren andauernden Blick in meine Augen, mit einem entspannten Lächeln und ausgeweiteten Flügeln.
Wir reichen uns die Hände, drücken uns und freuen uns, dass wir den Weg zueinander gefunden haben.

Wir verabschieden uns ohne Trauer und Tränen, weil wir beide wissen, dass es noch mehrmals die Situationen vorkommen, wo wir uns treffen und uns über unser Beisammensein freuen können, obwohl es dir eine innere Überwindung kostet wird.

Ich winke dir lange zu, indem du weitergehst, weiterfliegst.


- Oh, es klingt so überzeugend, dass ich wohl mich entschuldigen muss, für meine Angriffe. Ich war ungerecht, das gebe ich zu, ich habe dich für einen Feind gehalten. Obwohl es nahe liegend ist, dass du mir nicht schaden willst.
Bitte verzeih mir, dass ich uneinsichtig war.
Und bitte, komm zu mir immer, wenn du spürst, dass ich dich brauche; ich werde mein Bestes tun, um eines Tages in deine leuchtenden Augen schauen zu können, deinen Segen zu bekommen.

Liebe Angst, lass uns bitte Freunde sein!

- Spürst du mich? Bist du bereit, der Freundschaft treu zu bleiben? Willst du wirklich den Weg gehen?